Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 28 – Für ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht
Dazu sagt die Abgeordnete der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Catharina Nies:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleg*innen,
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es ist höchste Zeit, dem Rechnung zu tragen und die Einbürgerungsmöglichkeiten zu stärken. Aktuell schöpfen wir gerade mal 2,5 % des Einbürgerungspotenzials in Deutschland aus.
Es gibt viele Menschen, die hier dauerhaft leben und keinen Antrag stellen. Denn sie wollen ihre mitgebrachte Staatsangehörigkeit nicht verlieren. Sie wollen sich nicht entscheiden müssen. Und das kann ich verstehen. De facto zwingen wir sie aber im Gegenzug auf ihre volle politische Teilhabe zu verzichten.
Unsere Herkunft ist Teil unserer Identität. Sie verbindet uns nicht zuletzt mit unserer Familie. Mehrere Staatsangehörigkeiten zu haben, ist in vielen anderen Ländern kein Problem. Warum also bei uns? Wir leben nun mal in einer global vernetzten Welt. In einer Welt, die von Interdependenzen geprägt ist. Das gilt für unsere Wirtschaft und Kommunikation, für unsere Kulturen und eben auch für die Lebensrealität zahlreicher Familien.
Es gibt rechtliche, faktische und finanzielle Hürden, die Menschen eine Einbürgerung er-schweren. Aktuell ist es so: Der Prozess der Einbürgerung kann für die einen relativ simpel vollzogen werden – nur ein Gang zum Amt, eine Formalität, ein Stempel in einem Dokument.
Für andere ist es ein steiniger Weg, mit langen Wartezeiten, viel Aufwand und Emotion. Und vielleicht auch mit einer Ablehnung, die sich dann anfühlt, als würde man selbst abgelehnt werden. In dem Land, in dem man aufgewachsen ist oder sich jahrelang ein Privatleben aufgebaut hat, sich engagiert und Steuern gezahlt hat. In dem Land, in dem die eigenen Kinder geboren wurden, oder man sogar selbst.
Ich finde es falsch, das nicht zu sehen. Ich finde es falsch von „verramschen“ eines Passes zu sprechen – wie einige Politiker*innen es derzeit auf Bundesebene tun. Und ich finde es wirklich gut, dass unsere Partner-CDU hier in Schleswig-Holstein einen sachlicheren Umgang mit diesem Thema findet.
Schauen wir uns die Realität an. Wir haben zwar ein Staatsangehörigkeitsrecht, das vorgibt, Mehrstaatigkeit im Grundsatz vermeiden zu wollen. Aber das tut es nicht. Nicht wirklich. Nicht für alle. Von der Regel sind weniger Menschen betroffen als von der Ausnahme. Und das ist nicht fair.
63,2 % aller Einbürgerungen erfolgten 2020 unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Dies betraf vor allem Unionsbürger*innen, Schweizer*innen und Briten. Außerdem betraf es Menschen aus Ländern, denen aufgrund des dortigen Rechts oder der dortigen Rechtspraxis ein Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit nicht ermöglicht wird, wie z. B. Iran, Afghanistan, Eritrea, Syrien, Marokko, Tunesien, Kuba, Thailand und mehr.
In erster Linie also benachteiligt durch das Verbot von Mehrstaatigkeit sind hier geborene Kinder ausländischer Eltern, die noch der Optionspflicht mit 21 Jahren unterliegen. Und Angehörige von Drittstaaten, für die keine Ausnahme-Regel gilt. Also zum Beispiel die türkische Community, die größte Einwander*innengruppe in Deutschland.
Auf Bundesebene geht es der AMPEL-Regierung mit ihrer geplanten Reform nicht darum, die Mehrstaatigkeit neu einzuführen, sondern sie fair und gleichermaßen für alle zuzulassen.Lassen Sie uns also die Bundesebene dabei unterstützen, das Gesetz zu vereinfachen,
aus der Ausnahme die Regel für alle zugewanderten Menschen zu machen. Denn faktisch ist sie es schon.
Und über noch einen Punkt müssen wir sprechen. Über die hier geborenen Kinder. Wer zwei ausländische Elternteile hat, wird nur unter bestimmten Voraussetzungen als „Deutsche“ in Deutschland geboren. Vater oder Mutter müssen seit 8 Jahren einen rechtmäßigen dauerhaften Aufenthalt haben und dazu eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Das schließt viele aus.
Es bedeutet z. B. Neugeborene, deren Eltern eine Duldung haben, werden in einen unsicheren Aufenthalt hinein geboren. Diese Kinder sind potenziell ausreisepflichtig in dem Land, in dem sie geboren wurden. Sie wachsen hier auf, werden hier sozialisiert, lernen Deutsch von Beginn an – sind faktisch Deutsche! Aber das zählt nicht.
2019 waren 1,56 Millionen Menschen und 2020 knapp 1,6 Millionen Menschen in Deutschland mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die keine eigene Migrationserfahrung hatten. Die als Ausländer*innen in ihrem eigenen Land leben. Ich finde das inakzeptabel. Und deshalb hat jeder politische Schritt, der diesen Missstand „heilt“ meine volle Unterstützung.
Ja. Es gibt rechtliche und praktische Hürden beim Thema Einbürgerung, die wir abbauen müssen. Wir müssen die Rechte hier geborener Kinder stärken und die Lebensleistung der sogenannte „Gastarbeiter*innen-Generation“ anerkennen. Das ist unsere grüne Haltung.
Aber wir können heute nicht über einen Antrag abstimmen, der sich auf einen Gesetzesentwurf bezieht, der uns noch nicht vorliegt. Und dessen Details wir nur vermuten können. Deshalb schlagen wir Ausschussüberweisung vor.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fraktion SH


