„Es handelt sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt. Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jedes Bürgers ermöglichen.
Auch steigt das Risiko von Bürgern, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass gegeben zu haben. Darüber hinaus verschärfen die Missbrauchsmöglichkeiten, die mit einer solchen Datensammlung verbunden sind, deren belastende Wirkung.
Zumal die Speicherung und Datenverwendung nicht bemerkt werden können, ist die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann“
Mit diesen Worten begründete das Bundesverfassungsgericht 2010 die Verfassungswidrigkeit der 2007 eingeführten Vorratsdatenspeicherung. Keines dieser Worte hat an Gültigkeit verloren.
Ein „diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins“. Ein Satz, der in Anbetracht der Enthüllungen von Edward Snowden eine ganz neue Dimension erreicht.
Als das Bundesverfassungsgericht 2010 zudem forderte, die sogenannte Überwachungs-Gesamtrechnung im Auge zu behalten, hat sich niemand vorstellen können, wie sehr diese aus allen Nähten platzen würde. Das Verfassungsgericht schreibt vor, dass einzelne Maßnahmen nicht nur für sich genommen verhältnismäßig sein müssen, sondern die Summe aller Überwachungsmaßnahmen zusammen keine Totalüberwachung der BürgerInnen ermöglichen darf.
Die überwachungspolitische Belastung der BürgerInnen hat die Grenze des Zumutbaren längst überschritten. Und es ist unsere Aufgabe sie wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Mehr Datenschutz und weniger wirkungslose Sicherheitsgesetze sind unsere Grüne Antwort.
Die Vorratsdatenspeicherung erfolgt anlasslos und willkürlich. Damit verstößt sie eklatant gegen die im Grundgesetz verankerte Unschuldsvermutung. Und damit gegen eine der wichtigsten Grundlagen für unseren Rechtsstaat. Wenn die Vorratsdatenspeicherung eingeführt würde, könnten wir das Kommunikationsgeheimnis und das Recht auf Privatsphäre aus unserer Verfassung komplett streichen.
Das war 2010 so und ist es auch heute noch. Darum haben wir uns bereits im Koalitionsvertrag eindeutig gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Und es ist jetzt an der Zeit, alles in unserer Macht Stehende zu tun und dafür zu sorgen, dass die Große Koalition keine Koalition der großen Überwachungsmaßnahmen wird.
Es ist deshalb gut, dass der absurde Vorschlag von Innenminister Friedrich zur Nutzung von Mautdaten zu Sicherheitszwecken vorerst gestoppt wurde. Aber vorsichtig - wer weiß, ob solche Vorschläge nicht wieder aus der Mottenkiste kommen, falls sich der Zeitgeist wieder ändert.
Ein Innenminister, der von einem sogenannten Supergrundrecht Sicherheit fabuliert, beweist nicht nur juristischen Nachhilfebedarf, sondern auch wie kopflos unsere Innenpolitik in Berlin betrieben wird.
Wie befreiend wäre es, eine Sicherheitspolitik über reale Gefährdungsanalysen zu definieren und nicht über den Einzelfall, der für ideologische Schreckgespenster herhalten muss. So sähe eine effektive und mutige Sicherheitspolitik aus.
Aktuelle Sicherheitsgesetze sollten stärker zeitlich befristet werden und eine Evaluierungsfrist zwingend vorgeschrieben werden. Auch wenn wir Grüne dafür noch keine Mehrheit haben, werden wir uns weiter dafür einsetzen. So wie es bei Rot Grün bis 2005 schon Gang und Gäbe war.
Es wäre ein unerträglicher Skandal, wenn die Große Koalition die Vorratsdatenspeicherung einführen würde während der größte Geheimdienstskandal aller Zeiten noch nicht einmal vollständig aufgeklärt ist.
Natürlich ist diese Debatte auch eine europäische. Deshalb ist es aber wichtig, dass die Bundesrepublik ihre Rolle als Anwältin für Bürgerrechte in der EU endlich wahrnimmt. Der zivile Ungehorsam von Sabine Leutheusser Schnarrenberger darf jetzt nicht umgekehrt werden.
Wir brauchen eine mutige Zivilgesellschaft und Koalitionen aller Couleur in den Ländern gegen Überwachungsmaßnahmen aus dem Bund. Deshalb steht unsere rot-grün-blaue Koalition geschlossen gegen die Vorratsdatenspeicherung. Und deshalb würden wir Grüne gerne noch etwas weiter gehen. Unsere gemeinsame Antwort auf die aktuellen Überwachungsskandale kann nur eine sein: Freiheit!
Fraktion SH

