Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 1 – Schleswig-Holsteins Perspektiven im Chancenraum Ostsee für Wohlstand, Klimaschutz und Innovationen
Dazu sagt die Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Eka von Kalben:
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Ostsee ist seit Jahrhunderten Dreh- und Angelgewässer für wirtschaftliche und gesellschaftliche Erfolgskonzepte. Von den Wikingern, über die wirtschaftliche Blüte der Hansezeit - dieses Binnenmeer verbindet bis heute Staaten, auch unabhängig von der EU. Wobei die Europäische Union durch ihre vielfältigen InterReg- und Förderprogramme die beteiligten Ostseeanrainerstaaten enorm stärkt.
Ob Gewerkschaften, Unternehmen, Jugendverbände, Kulturschaffende, Forschungsverbünde – der Ostseeraum beherbergt zahlreiche Netzwerke und verbindet Menschen. Und Schleswig-Holstein ist von Anfang an dabei. Millionen von Menschen leben in diesem reizvollen Gebiet und nutzen die Ostseestrände zur Erholung. Die Menschen an der Ostsee wissen, dass sie gemeinsam stärker sind.
Die Ostseeparlamentarierkonferenz tagt bereits seit 30 Jahren. Abgeordnete aus regionalen und nationalen Parlamenten haben auch dieses Jahr wieder nach Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit gesucht. Die Themen Klimawandel und Biodiversität standen ganz oben auf der Agenda und sind als Gemeinschaftsaufgabe in die Resolution eingeflossen.
Und es ist kein Wunder, dass sich die Länder, die durch die Ostsee miteinander verbunden sind, mit dem Schutz dieser See besonders beschäftigen. Dem Schutz vor Vermüllung durch Plastik, Überdüngung der See und vor Munitionsaltlasten.
Die Überdüngung der See zerstört gerade in der so sensiblen Ostsee, die nur einen geringen Wasseraustausch hat, wichtige Lebensräume. Die Seegraswiesen beispielsweise speichern eine erhebliche Menge CO2. Deshalb ist Meeresschutz auch Klimaschutz.
Der Klimawandel spielt schon jetzt eine erhebliche Rolle in der Ostsee, die bereits um 1,5 Grad wärmer geworden ist. Sie muss widerstandsfähiger werden. Und dazu gehört eben auch ein konsequenter Umbau der Landwirtschaft, denn sonst sägen wir uns selbst den Ast ab, auf dem wir sitzen.
Und auch wenn der Ostseeraum mit seinen zauberhaften Landschaften stark vom Tourismus lebt, so ist es auch unstrittig, dass es andere Schiffsantriebe braucht, wenn wir diesen Schatz auch zukünftigen Generationen ermöglichen wollen.
Munitionsaltlasten waren zurecht auf dem Programm der diesjährigen Helsinki-Konferenz in Lübeck vergangene Woche. Gerade bei den durchrottenden Munitionskörpern tickt eine ökologische Zeitbombe. Hier ist Schleswig-Holstein, besonders die Flensburger und Kieler Förde, stark betroffen. Die Aufgabe ist riesig. Die Schätzungen des NABU gehen alleine in Nord- und Ostsee von mehr als 1,6 Millionen Tonnen Munitionsmüll in den Küstengewässern aus. Die Bergung ist kompliziert und gefährlich. Ich habe größten Respekt vor denjenigen, die sich dieser Herausforderung stellen.
Der Ostseeraum ist natürlich mehr als nur ein großes Gewässer. Aber viele Menschen leben eben auch von dem, was im Wasser schwimmt. Beziehungsweise leider nicht mehr ausreichend schwimmt. Deshalb ist der Erhalt der Fischwelt eben auch ein Thema, was wir nur übergreifend angehen können. Und über die Überfischung und ihre Folgen werden wir ja heute noch beraten. Meine Kollegin Marlies Fritzen hat es gestern treffend beschrieben: Die Bedrohung der Fischerei entsteht nicht dadurch, dass es Fangquoten gibt, sondern wenn es keine gibt, weil es dann nichts mehr zu Fischen gibt.
Und die Fischerei muss auch einen Beitrag dazu leisten, dass der Plastikmüll zurückgeht. Denn die Schleppnetze sind der größte Müllfaktor in der See. Hier können die Anrainer gemeinsam forschen, um zu alternativen Stoffen zu kommen und damit dann einen wertvollen Beitrag zur Fischerei insgesamt leisten. Und in dem Zusammenhang hat die Helsinki-Konferenz nun einen konkreten Plan vorgelegt, um die bereits in 2007 erhobenen Forderungen wirklich umzusetzen. Wir stehen nun in der Pflicht, diesen Ostseeaktionsplan konsequent umsetzen. Denn die Ziele zu beschreiben, reicht nicht, es müssen auch Taten folgen – in allen Staaten, die in Lübeck dabei waren.
Liebe Kolleg*innen, kommen wir zurück zum positiven Spin des Titels der Regierungserklärung. Wohlstand, Klimaschutz und Innovation wollen wir für den Ostseeraum durch ein gutes Miteinander erreichen. Diese Dinge kann man nicht getrennt voneinander sehen. Klimaschutz ist die zentrale Voraussetzung für Wohlstand. Vor allem wenn man Wohlstand ganzheitlich betrachtet. Zu unserem Wohlstand gehört es eben auch, dass wir in einer intakten Umwelt leben können. Und Innovation ist eine, wenn nicht sogar die wichtigste Voraussetzung, damit Klimaschutz in annähernd angemessener Zeit gelingen kann.
Das Bewusstsein, dass wir nur miteinander die Aufgaben bewältigen können, steigt. Das ist gut und wichtig. Wobei die Rolle Schleswig-Holsteins in Sachen Klimaschutz durchaus eine Zentrale sein kann: Für die regenerative Energiegewinnung aus Wind- und Solarkraft ist unser Land prädestiniert. Wir müssen dafür sorgen, dass die Herstellung von Produkten und Technologien zur Umsetzung der Energiewende, also die Folgesektoren, sich in Schleswig-Holstein ansiedeln. So können wir auch den Nachbarländern Technologieunterstützung bieten, damit diese nicht auf Risikotechnologien angewiesen sind. Und so würden wir durch unsere Innovationen auch einen Beitrag zum dauerhaften Wohlstand einbringen.
Mit der Klimawende muss eine Verkehrswende einhergehen – hier sind unsere Nachbar*innen, besonders auch in Skandinavien, wesentlich weiter. Ob die Fehmarn-Belt-Querung die Möglichkeiten von Skandinavien zu lernen tatsächlich verbessert, stelle ich zwar in Frage, aber sollten sich durch dieses, ökologisch bedenkliche, riesige Infrastrukturprojekt bei allen negativen Umweltaspekten auch positive Effekte für die Gesamtregion generieren lassen, so sollten die unbedingt auch genutzt werden.
Denn auch in Sachen Innovation sind die skandinavischen und baltischen Länder uns deutlich voraus: Digitalisierung in der Verwaltung, innovative Arbeitsmodelle und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf können uns als soziale Innovation Vorbild sein. Wenn zum Beispiel das digitale Vorzeigeprojekt xroad, an dem Finnland und Estland arbeiten, sich über den ganzen Ostseeraum ausbreiten würde, dann wären wir ganz weit vorne.
Die Ostseeanrainerländer saßen nicht immer an einem Tisch. Der eiserne Vorhang hat auch die Zusammenarbeit erschwert. Wir sind alle froh, dass diese Zeit überwunden ist. Und doch möchte ich angesichts der erschütternden Bilder und Nachrichten zur Flüchtlingssituation in Belarus und Polen noch ein paar Worte dazu verlieren.
Die Partnerschaften im Ostseeraum müssen gepflegt werden, keine Frage. Aber sie dürfen auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir hier mit einigen Anrainerländern in wirklich schwierigem Austausch sind. Wir können bei Menschenrechtsverletzungen nicht weggucken. Das gilt sowohl für den Umgang mit Geflüchteten in Belarus als auch für den unsäglichen Streit Polens mit der EU.
Und in dem Zusammenhang gucken wir auch mit weniger Jubel auf die Nord Stream 2-Leitung. Ob wir Erdgas aus Russland brauchen, um die Energiewende zu meistern, ist umstritten. Wir stehen dem kritisch gegenüber. Der Nutzen als Brückentechnologie überzeugt uns nicht. Denn natürlich kostet das Projekt selber auch noch erhebliche Tonnen CO2. Und die Gefahr besteht, dass die Pipeline eher dazu führt, dass der Umbau in eine CO2-arme Energieversorgung erschwert wird, damit sich die Pipeline auch rechnet. Dieses fossile Megaprojekt erschwert die Erreichung der Pariser Klimaziele erheblich. Und im Übrigen besorgt mich die Zusammenarbeit mit Russland gerade in so einem sensiblen Bereich wie der Energieversorgung schon.
Die Ostsee hat Menschen seit je her miteinander verbunden. Dabei wurde nicht nur mit Waren gehandelt. Auch Ideen, Werte und Kultur wurden miteinander ausgetauscht. Daran konnten alle Regionen wachsen. Angesichts der gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen sind dieses Miteinander und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ganz besonders wichtig und wertvoll.
Ein Grund mehr, das verbindende Element – die Ostsee – zu schützen und alles dafür zu tun, dass sie sich von den negativen Einflüssen durch den Menschen wieder erholt. Wir in Schleswig-Holstein leisten unseren Beitrag und ich danke dem Ministerpräsidenten dafür, dass er unsere Rolle für ein partnerschaftliches Miteinander mit dieser Regierungserklärung so deutlich gemacht hat.
Ich danke Ihnen.
Fraktion SH


