Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 24 – Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung!
Dazu sagt die frauen- und migrationspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Catharina Nies:
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
jede Frau auf dieser Welt muss selbstbestimmt leben dürfen. Jede Frau muss das Recht haben, frei über ihren Körper zu entscheiden und ohne Gewalt aufzuwachsen. Viel zu vielen Frauen werden diese Rechte verwehrt. Geschlechtsspezifische Gewalt beeinträchtigt das Leben von Millionen Mädchen und Frauen weltweit. Und diese Gewalt hat verschiedene Formen. Es gibt nach wie vor Formen, die gesellschaftlich besonders tabuisiert werden. Und über genau solch ein Tabuthema sprechen wir heute.
Weibliche Genitalverstümmelung (abgekürzt mit FGM oder FGC nach den englischen Ausdrücken Female Genitale Mutilation bzw. Female Genital Cutting) ist eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt, die weltweit verübt wird. Sie richtet sich systematisch gegen Mädchen und Frauen. Sie ist ein Angriff auf die körperliche Integrität der Frau. Ein Angriff auf ihre Weiblichkeit, auf ihre Sexualität.
Meistens sind sie noch kleine Mädchen oder sogar noch Babys, wenn den Betroffenen die äußeren Geschlechtsorgane weggeschnitten werden, teilweise oder vollständig. Da-nach werden sie, je nach Beschneidungstyp, oftmals wieder zugenäht. 25 Prozent der Mädchen sterben bei dieser Prozedur. Und bei den Überlebenden werden wesentliche natürliche Funktionsfähigkeiten des Körpers stark beeinträchtigt: Der Harn-Organe, der reproduktiven und sexuellen Organe. Sie haben ihr Leben lang Schmerzen beim Toilettengang, beim Geschlechtsverkehr oder aufgrund von Folgeerkrankungen. Viele werden dauerhaft unter den physischen und psychischen Folgen leiden. Es hört nie auf.
Besonders in der Schwangerschaft kann es zu Komplikationen führen, zum Beispiel, wenn die Schamlippen zugenäht sind. Nur vereinzelte Mediziner*innen in der Geburtshilfe in Schleswig-Holstein verfügen über die Kompetenzen, die Frauen ohne zusätzliche Verletzung und Beeinträchtigung bei der Entbindung zu öffnen. Hinzu kommt, dass Heb-ammen und Frauenärzt*innen bislang nur in Einzelfällen in der Lage sind, weibliche Genitalverstümmelung im Vorfeld einer Entbindung zu erkennen und im Zuge der Vorsorge die Geburtsklinik zu informieren. Das Risiko von Totgeburten und Kaiserschnitten ist folglich stark erhöht.
Wir brauchen mehr medizinische Kompetenz im System. Und die bauen wir nur auf, in-dem wir das Thema als Baustein in die Ausbildungen von Hebammen und Frauenärzt*innen aufnehmen und Fortbildungen für die Berufsgruppen im Gesundheitsbereich anbieten. Da die einzigen Chirurg*innen in Aachen und seit kurzem auch in Berlin praktizieren, die Methoden zur Wiederherstellung beherrschen, haben die Frauen lange Anreisewege und Übernachtungskosten zu tragen, wenn sie sich dort helfen lassen möchten. Diese Begleitkosten werden von den Krankenversicherungen nicht übernommen. Des-halb schlage ich vor, dass wir hierfür einen kleinen Topf aufbauen, über den betroffene Frauen Einzelfallanträge zur Kostenübernahme stellen können.
Weibliche Genitalverstümmelung wird zwar in immer mehr Ländern gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt, die gesellschaftliche Praxis folgt dem aber leider noch nicht. Und deshalb dürfen wir nicht müde werden, dieses Thema anzusprechen und dabei auch Bezüge zu der Situation in Schleswig-Holstein herzustellen. Denn auch in Deutschland und bei uns im Norden sind Frauen und Mädchen betroffen oder bedroht. Laut Dunkelzifferschätzungen von Terre des Femmes für 2022 leben bis zu 104.000 betroffene Mädchen und Frauen in Deutschland; und bis zu 18.000 Mädchen sind bedroht. Eine sichere Datenlage haben wir bisher aber nicht. Es ist wichtig, dass wir Beratungs- und Hilfestrukturen ausbauen. Die bestehenden Hilfen sind auf die Initiative einzelner engagierter Beratungsstellen, Mediziner*innen, Hebammen und Frühe Hilfen-Akteur*innen zurückzuführen.
Der Verein TABU ist die einzige offizielle Anlaufstelle in Schleswig-Holstein, an die sich Betroffene wenden können. Hinzu kommen einzelne engagierte Schwangerenberatungs-stellen. Im Hilfe- und Beratungssystem sollte das Thema grundsätzlich in größere Kon-texte - wie Frauengesundheit und Schwangerenberatung - eingebettet werden, um die hilfesuchenden Frauen nicht zu stigmatisieren. Und wir brauchen in Schleswig-Holstein eine Vernetzung zwischen den Strukturen im Bereich Frühe Hilfen, Kinder- und Jugend-hilfe, Frauenfacheinrichtungen und der Polizei. In Hamburg gibt es seit vielen Jahren solch eine institutionalisierte Zusammenarbeit. Der Leitfaden hierzu könnte auch bei uns in SH als Vorbild fungieren, sodass das Rad nicht neu erfunden werden muss.
Als Frauen – und Migrationspolitikerin ist mir noch etwas wichtig: Weibliche Genitalverstümmelung ist ein Asylgrund. Eine ganze soziale Gruppe ist davon bedroht und betroffen. Ich bitte die Landesregierung sich auch auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass das BAMF dies endlich uneingeschränkt anerkennt. Wir als Bundesland müssen unseren Beitrag leisten, indem wir die Asylverfahrensberatung der Frauen stärken – und sie über ihre frauenspezifischen Rechte im Asylverfahren vor der Anhörung intensiv informieren. Und zwar sie direkt – ohne ihren Ehemann – und mit dafür ausgebildeten Dolmetsche-rinnen.
Setzen wir die Empfehlung der AG 35 zur Istanbul Konvention um und erarbeiten landesweite Strukturen der Beratung und Zusammenarbeit, um betroffenen Frauen und gefährdete Mädchen zu helfen. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass Mädchen und Frauen systematisch verletzt werden – nur weil sie weiblich sind.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Fraktion SH


