Dazu sagt die schulpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
Anke Erdmann:
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
schon in der Grundschulzeit verspüren viele Eltern einen enormen Druck – das bestätigen uns viele Grundschullehrkräfte. Ein Teil der Eltern sorgt sich um den optimalen Bildungsstart ihrer Kinder. Dieser Druck ist oft hinderlich für das Lernklima und belastet auch viele Familien. Gleichzeitig gibt es viele ABC-Schützen, mit denen niemand zu Hause den Ranzen packt und für die keiner ein Schulbrot schmiert. Das Spektrum an unseren Schulen ist weit.
In Deutschland hängt der Schulerfolg noch immer stark vom Elternhaus ab – auch bei gleicher „kognitiver Kompetenz“ wie es in den PISA-Studien heißt. Seit PISA 2000 hat sich in Sachen Bildungsgerechtigkeit einiges getan. Deutschland ist von der Schlussgruppe ins Mittelfeld gekommen. Das ist eine gute Zwischennachricht, aber gerade in diesem Bereich ist noch viel Luft nach oben. Wir wollen – wie bei der Leistung – über dem OECD-Durchschnitt liegen.
Leistung oder Bildungsgerechtigkeit – das war jahrzehntelang die Debatte in der „Bildungsrepublik“. Leistung und Bildungsgerechtigkeit gehören – das ist eine der Lehren aus PISA – aber unmittelbar zusammen. Die allgemeinen Leistungssteigerungen in Mathe, Naturwissenschaften und bei der Lesekompetenz sind vor allem auf einen Effekt zurückzuführen: Die benachteiligten und die leistungsschwächeren SchülerInnen haben von 2001 bis 2012 aufgeholt. Das bringt Deutschland den deutlichen Sprung nach vorne ein. Die Leistungen sind insgesamt besser geworden, weil die Chancengerechtigkeit zugenommen hat.
Das war das Ziel der Großen Schulreform aus dem Jahre 2007 von CDU und SPD in Schleswig-Holstein. Hier setzen wir auch mit unserer Veränderung des Schulgesetzes an. Wir wollen zwei starke Schulen nach Klasse 4: starke Gemeinschaftsschulen und starke Gymnasien. Das wir zwei starke Säulen in der Sekundarstufe 1 haben – in der Oberstufe kommen noch die beruflichen Gymnasien dazu – das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Hier wollen wir für gute Rahmenbedingungen sorgen.
Wir haben eine Schulgesetzänderung versprochen, die klare Leitplanken, klare Perspektiven und Ruhe ins System bringt. Mitunter hört es sich an, als gäbe es Aufruhr und Unruhe. Man darf aber die Frontalablehnung einzelner Verbände oder Personen nicht mit der Stimmung an den Schulen verwechseln. Es gibt, das ist klar, Kritik an einzelnen Punkten – auch zu wichtigen Fragen, wie der Größe von Oberstufen und zu der Frage des Einschulungszeitpunktes. Die große Linie der Änderungen aber, die ist breit getragen – und darauf kommt es uns an.
Im Anhörungsverfahren haben wir als Fraktionen noch einmal viele Punkt aufgegriffen, das wird auch deutlich an den vielen Pressemitteilungen z.B. von Landesschüler- und -elternvertretungen und von Verbänden, die sich sonst eher selten zu Wort melden. Wir sind übrigens auf weitaus mehr Punkte eingegangen als bei der ungeliebten Schulreform 2010 unter Schwarz-Gelb.
Apropos: Wer sich an 2010/2011 zurückerinnert: Damals war die Schulreform sehr laut begleitet worden. Es gab eine erfolgreiche Volksinitiative gegen die Reform, eine Unterschriftenaktion dafür. Wir erinnern uns an den Lehrerstreik mit seinen Folgen, starke Unruhe in vielen Kollegien und bei den Eltern in Gymnasien und Gemeinschaftsschulen. Viele Schulträger verlangten deutlich nach Planungssicherheit statt Schulchaos. Diese Begleitmusik zur letzten Schulreform sollte man sich noch einmal vergegenwärtigen. Bei unseren Änderungen heute würde ich von Zimmerlautstärke sprechen – unaufgeregte Kritik, freundliche Bestätigung, eine überschaubare Zahl an Alarmrufern.
Die einzigen, die wirklich Abschiedsschmerz bei der Wandlung von Regional- in Gemeinschaftsschulen haben, sind offensichtlich die KollegInnen der CDU. Wenn die CDU von Freiheit spricht, meint sie in erster Linie die Freiheit zur Nostalgie. So wollen sie das Gedenken an Haupt- und Realschulen aufrechterhalten. Aus rund 200 Schulen sollen Regional/Gemeinschaftsschulen werden – das ist mal ein origineller Vorschlag auf den letzten Metern.
Dass Sie das Thema „selbständige Schule“ anfassen, finde ich erfreulich. Vor allem, weil mein Reden hier in Ihre Richtung nicht vergebens war und Sie in diesem Anlauf endlich Selbständigkeit und Schulevaluation zusammendenken. Das ist neu für die Union und ein guter Schritt. Ohne die Union wären wir allerdings schon weiter, denn Sie haben genau das Evaluationsinstrument abgeschafft, was Sie nun vermissen – sinnvoller wäre es gewesen, es weiterzuentwickeln.
Offen bleibt allerdings die Frage, wie Sie Schulen besser ausstatten wollen, wenn die Schulleitungen mehr Manager-Aufgaben übernehmen. Das ist an sich gut. Durch die Freiheit, eigene Lehrkräfte einzustellen, hat sich aber bereits der Aufwand der Schulleitungen – neben der neugewonnen Freiheit – enorm erhöht. Das ist ein Punkt, den viele Schulleitungen ansprechen, vor allem in Zeiten, in denen der Fachlehrermangel den Schulen zu schaffen macht. Wie Sie den Schulleitungen noch eine Aufgabe übertragen wollen ohne für Entlastung zu sorgen, das müssten Sie hier erklären. Haushaltsanträge dazu habe ich von Ihrer Seite jedenfalls nicht gesehen. Bei diesen und anderen interessanten Fragen fehlen Ihre Antworten noch.
Zurück zu den heutigen Änderungen. Uns Grüne freut besonders, dass kleine Schulen im ländlichen Raum mehr Freiheit bekommen als vorher. Wir schaffen die Grundlage für flexible Lösungen, wenn sie vor Ort gewünscht werden, die Mindestgrößenverordnung wird ebenfalls angepasst – ein Ergebnis des Bildungsdialogs übrigens – und EU-Strukturfondsmittel werden für diese Entwicklung bereit stehen. Echte Hilfe statt Sonntagsreden. Auch wenn wir nicht jeden Schulstandort werden retten können, wir wissen, dass die Zukunft im ländlichen Raum auch an guten Rahmenbedingungen für junge Familien hängt und tun wirklich etwas.
Ein Wermutstropfen ist, dass wir in Sachen Inklusion – ein Thema, das fast alle unsere Schulen beschäftigt – den Status quo belassen. Den Ressourcenvorbehalt hätten wir gerne abgeschafft. Aber hier muss es eine Lösung mit den Kommunen geben. Ich bin froh, dass die Landesregierung sich – Soziales und Bildung – mit den Spitzenverbänden auf Lösungssuche begibt. Klar ist auch: Förderzentren haben weiter Bestand, wir wollen und können nicht auf deren Arbeit verzichten!
Ein größeres Thema war in der letzten Woche die Regelung zur Querversetzung und die Frage der Schulartenempfehlung. Um mit der Schulartenempfehlung zu beginnen: Dieser Punkt wird nicht im Gesetz geregelt, sondern in einer Verordnung. Dazu gibt es eine reguläre Anhörung – mit Schulen, ElternvertreterInnen usw. Klar ist, wo es keine Haupt- und Realschulen gibt, muss man auch die Schulartenempfehlung überprüfen. Dazu hat es eine entsprechende Arbeitsgruppe im Dialogprozess gegeben. Die Ergebnisse wurden aber in einer erweiterten Sitzung im August von vielen VertreterInnen von Lehrkräften, Eltern und aus der Politik als nicht praktikabel eingeschätzt und darum nicht weiter verfolgt. Dennoch gibt es Handlungsbedarf, weil die Empfehlungen ja zu unserer Schulstruktur passen müssen.
Eines muss außerdem allen klar sein: Schon heute haben nach Klasse vier alle Kinder mit Real- und Gymnasialempfehlung das Recht, auf ein Gymnasium zu gehen. Das sind 80 Prozent der SchülerInnen! Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Aufregung nicht zu verstehen. Tatsächlich wählen Eltern aber durchaus bewusst: Nur 40 Prozent der SchülerInnen gehen nach Klasse vier in ein Gymnasium, von denen jedes fünfte Kind schon jetzt keine entsprechende Empfehlung hat. Auch weiterhin wird es eine Beratung geben. Wie diese besonders gut gelingt, darum geht es auch in der Anhörung.
Sagen Sie mir doch mal: Soll weiter Haupt- und Realschule auf den Empfehlungen stehen? Wenn nicht, dürfen dann Kinder mit der Empfehlung „Gemeinschaftsschule“ nicht ans Gymnasium? Das wäre absurd, weil natürlich auch Gemeinschaftsschulen zum Abitur führen. Wie wollen Sie es denn dann, liebe Dagegen-Fraktion?
Wenn ein Kind doch gegen den Rat der Lehrkräfte ans Gymnasium geht und angenommen wird, dort allerdings nur schwer zurechtkommt, dann kann das Kind doch nichts dafür und braucht besonderes Augenmerk. Bevor ein Kind das Gymnasium verlassen muss, das traf im letzten Jahr zirka fünf Prozent des 6. Jahrgangs der Gymnasien, dann muss sich die Schule besonders kümmern. Darum geht es! An vielen Gymnasien ist dies doch auch schon längst gute Praxis. Wir alle wissen: Ein Schulwechsel, das ist erstens ein Dämpfer für die Jugendlichen in einem sensiblen Alter, das bedeutet zweitens für die Familien, eine neue Schule zu finden, obwohl dann viele Schulen keine freien Plätze mehr haben und das bedeutet für die neue Schule drittens, dass man diese Kinder aufbauen und in bestehende Lerngruppen integrieren muss. Das waren drei Gründe, warum wir die Querversetzung – wie die Schulartenempfehlung – eigentlich komplett streichen wollten. Wir haben es – gerade aufgrund eines intensiven Austausches – nicht getan.
Wer sagt, Dialogprozess und Anhörung hätten nichts an unseren Plänen verändert, der muss zur OptikerIn! Wir haben viele Aspekte aufgegriffen und der Dialog geht weiter, denn wir haben noch viele wichtige Fragen zu klären.
Damit Schulen das Fundament bilden für eine Gesellschaft, die sich nicht weiter voneinander entfernt, die nicht auseinanderdriftet bei aller Vielfalt. Dafür brauchen unsere Schulen Rückenwind.
Heute ging es um den rechtlichen Rahmen. Die Fragen zu Lehrerausbildung packen wir in diesem Jahr an und die Ressourcenfrage ist natürlich zentral: Der Lehrermangel, Mittel für Inklusion, das Thema der Lehr- und Lernmittel wurde von Eltern, dem Kinderschutzbund und der GEW thematisiert. Auch hier versuchen wir aufzuholen.
Verlässlichkeit und Klarheit für die Schulen, Rückenwind für die Jungen und Mädchen in Schleswig-Holstein, Planungssicherheit für die Schulträger – ich bin sicher, dieses Gesetz wird dafür sorgen.
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Ein ausführliches grünes Hintergrundpapier zur Schulgesetz-Novelle finden Sie unter folgender Adresse:
http://www.sh.gruene-fraktion.de/schwerpunkt/schulgesetz-des-dialogs
Fraktion SH

