Green Growth und Energieeffizienz als Schlüssel zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum

Beitrag von Bernd Voß, MdL und Vorsitzender des Europaausschusses auf der Ostseeparlamentarierkonferenz vom 28.-30.August 2011 in Helsinki

Green Growth und Energieeffizienz als Schlüssel zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum

Die Debatte, den Wohlstand anders zu bemessen, ist nicht neu, die Umsetzung schon: grünes Bruttoinlandsprodukt (BIP), ein "Wohlstandsindex". Unsere Grüne Landtagsfraktion hat erstmals in einer Studie analysiert, wie "grünes Wachstum" in einem Bundesland aussehen könnte.

Die Berechnungen wurden von eine Forschergruppe aus der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) und dem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) für Schleswig-Holstein durchgeführt. Kritiker haben uns vorgeworfen, das sei "Wünsch-Dir-was" oder Schönrechnen. Es ist aber in Ökonomiekreisen lange bekannt, dass das BIP, das als zentraler Wirtschaftsindikator allabendlich im Fernsehen zitiert wird, eigentlich ungeeignet ist, den Zustand einer Volkswirtschaft zu beschreiben. Es ist unsensibel gegenüber ungewollten, einer Volkswirtschaft abträglichen Prozessen.

Führt beispielsweise eine Ölpest dazu, dass Reinigungs- oder Räumungsunternehmen viele Aufträge bekommen, hat die Ölpest nach dem BIP positive Wachstumseffekte. Entsprechendes gilt für eine unfallträchtige Straße, die viele Verkehrsopfer fordert. Ambulanzen, Krankenhäuser, Begräbnisunternehmen – sie alle profitieren ökonomisch. Umgekehrt ist das BIP nicht in der Lage, den Kapitalwert von ökologischen Zuständen, von Bildung oder ehrenamtlicher Tätigkeit zu beschreiben, geschweige denn deren Wirkung auf die Wertschöpfungskette auch nur ansatzweise zu erfassen. Das alles ist höchst unbefriedigend und seit Jahrzehnten bekannt. Der von der Weltbank finanzierte und von der UN Entwicklungsorganisation UNEP getragene, von 300 Wissenschaftlern weltweit erarbeitete Weltagrarbericht macht deutlich, dass die herrschenden globalisierten Anbau- und Ernährungsstrategien nicht zukunftsfähig sind.

Ebenso zeigen die Zahlen der internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) , dass wir ohne ein Umsteuern bei den Schiffstreibstoffen kurzfristige BIPanstiege errechnen können, aber trotzdem alle verlieren und auf Wohlstandszuwachs verzichten. In diesem Zielkonflikt haben wir auf der einen Seite die Kosten der durch Schiffstreibstoffe verursachten Umweltschäden und eine verzögerte Entwicklung einer zukunftsorientierten Antriebstechnologie in der Schifffahrt, auf der anderen Seite stehen die aktuellen Wirtschaftsinteressen besonders der Reedereiunternehmen. Das spiegelt sich auch in der Debatte um die heutige Resolution wieder.

Dass man die negativen Folgen von Wachstum mitrechnen muss, sollte seit dem IPCC-Report und den Berechnungen von Nicholas Stern zum Weltklima allen klar sein. Auf 700 Seiten diskutierte Stern in seinem Report die Folgen der globalen Erwärmung und kam zu dem Ergebnis, dass der Klimawandel zu einem Wirtschaftsverlust zwischen 5 und 20 Prozent des weltweiten Sozialprodukts führen würde. Nach dem IPCC-Report sind die Kosten des Klimawandels 20 Mal höher als die des Klimaschutzes. Genau diesem Ansatz, schädliche Folgen von konventionell definiertem Wachstum ökonomisch zu berechnen, folgt auch die von den schleswig-holsteinischen Grünen in Auftrag gegebene Studie. Sie berücksichtigt neben den Kosten für Umweltschäden weitere Faktoren wie zum Beispiel den Wert nicht erwerbstätiger Arbeit und die Auswirkungen von sozialer Ungleichheit.

Die Studien der OECD weisen nach, dass das Einkommensgefälle in Deutschland in den letzten Jahren deutlich stärker gestiegen ist als in der Mehrheit der OECD-Länder. Wir müssen ausgewogene Einkommensverhältnisse auch als einen wichtigen Entwicklungsfaktor für den ganzen Ostseeraum begreifen.

Gerade weil wir nachhaltiges Wachstum wollen, müssen wir die Debatte über das Maß, mit dem wir es messen, eröffnen. Die Studie "Ein grünes BIP für Schleswig-Holstein" unternimmt erstmals den Versuch, die Theoriedebatte konkret und realistisch auf ein Land zu übertragen. Sie kommt dabei zu erstaunlichen Ergebnissen: "Während das BIP in Schleswig-Holstein im Jahr 2008 nur knapp 0,2 Prozent über dem BIP von 1999 liegt, ist der NWI (Nationaler Wohlfahrtsindex) in diesem Zeitraum in diesem Bundesland um 9,4 Prozent gestiegen. Dagegen ist in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt das BIP zwischen 1999 und 2007 um 7,4 Prozent gestiegen, der NWI jedoch um 3,2 Prozent gefallen; würde man den Rückgang des Bundes-NWI auf das Jahr 2001 beziehen, dann würde der Rückgang sogar 7,4 Prozent betragen, da der Bundes-NWI zwischen 1999 und 2001 noch einmal angestiegen ist.

Überdurchschnittlich zufrieden

Die Studie analysiert die Gründe für diese erstaunliche Entwicklung und gibt dann Handlungsempfehlungen. Die Arbeitslosenquote bewegt sich im Bundesdurchschnitt, die Lebenszufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger ist überdurchschnittlich. Das Land verfügt über ein reiches Naturkapital und über ein gutes Potenzial mittelständischer Betriebe: Nachhaltige (Wirtschafts-)Politik sollte sich folglich – insbesondere unter der Restriktion begrenzter Finanzmittel – zwischen zwei sehr unterschiedlichen Polen bewegen:

(A) Förderung der (technologischen) Stärken im Umweltbereich, damit Förderung des Versuchs, auf den globalen Märkten der Umwelttechnik in bestimmten Feldern eine Spitzenposition zu halten, zumindest aber wettbewerbsfähig zu bleiben. Mit anderen Worten: Felder des ökologisch orientierten "selektiven Wachstums" zu identifizieren und zu fördern.

(B) Förderung der lokalen und regionalen Ökonomien als Präventionsstrategie, um gegen kommende Finanz- und Wirtschaftskrisen gewappnet zu sein. Wir brauchen die bewusste Förderung einer lokalen Infrastruktur, durch die mögliche Suffizienzstrategien im Land besser entwickelt werden können.

Dies schließt auch Aktivitäten im Bereich der "Bildung für nachhaltige Entwicklung" mit ein", heißt es zum Ende des Gutachtens. Diese Empfehlung betrifft gleich viele politische Probleme im Land. Ein Beispiel von vielen: So streikten die Krabbenfischer der Nordsee zum Beispiel, weil sie das Kilo Krabben für 1,20 Euro abgeben mussten "Abgeben müssen" ist tatsächlich wörtlich zu nehmen, denn es gibt nur zwei große, niederländische, marktbeherrschende Unternehmen, die den Preis diktieren. Hätte man eine lokale Vertriebsstruktur, gäbe es diese Abhängigkeit nicht. Ein europaweiter Lieferstreik der Milchbauern vor zwei Jahren hatte ähnliche Ursachen. Eine Lösung für den Milchsektor sehen wir in verbesserten Strukturen für Verarbeitung und Vermarktung in der Hand der Erzeuger.

Das Ziel ist nicht die Deglobalisierung

Der Aufschwung der erneuerbaren Energien – vor allen Dingen durch Bürger-Wind- und Bürger-Solarparks – zeigt dagegen, wie lokale Genossenschaftsstrukturen die Wertschöpfung nicht an Großkonzerne abfließen lassen und damit auch die Bestimmung über den Ausbau der Energiestruktur im Land lassen. Strukturschwache Regionen wie die Westküste Schleswig-Holsteins sind heute zur Boomregion der erneuerbaren Energien geworden. Wir stehen jetzt vor der Herausforderung, das Stromnetz so weit aufzubauen, dass die Umstellung auf EE auch gelingen kann.. Hier ließe sich ebenfalls ein Modell entwickeln, das die Bürgerbeteiligung an der Finanzierung und damit auch am Gewinn zulässt, ja mehr noch: zulassen will.

Regionale Ernährungskreisläufe, die Verwendung einheimischer Baumaterialien und Biorohstoffe sind besser als die Abhängigkeit von Rohöl und Sojaimporten. Uns ist aber auch klar, dass wir uns nicht vom Weltmarkt und vom überregionalen Wirtschaftsgeschehen abkoppeln können. Autarkie ist nicht das Ziel. Die würde im Energiebereich zum Beispiel bedeuten, dass wir an den Küsten eine Überproduktion von Energie hätten, sich in den Ballungsgebieten aber die Abhängigkeit von Kohle- oder Atomstrom fortsetzen würde. Das kann nicht sinnvoll sein. Um eine hundertprozentig erneuerbare Stromversorgung zu erreichen, brauchen wir internationale Vernetzung.

Eine weitere Herausforderung für die Politik besteht darin. die Verwundbarkeit der einheimischen Wirtschaft durch externe Schocks (Finanzkrisen etc.) zu senken. Daraus folgt für uns ebenfalls keine Politik der Deglobalisierung,  sondern wir brauchen Ordnungsstrukturen und Regelwerke, die, wie man vielleicht norddeutsch an der Nordseeküste sagen kann, eine zweite Deichlinie einziehen.

Ökologische und soziale Umgestaltung der Wirtschaft

Die weiteren Handlungsempfehlungen der Studie zielen auf die Förderung von mittelständischen Unternehmen als die eigentlichen Innovationsträger im Land, der Verbindung von Naturerlebnis, Tourismus und Life Style und der Schaffung eines neuen Clusters nachhaltige Ressourcenökonomie. Dieser Begriff umfasst sowohl die ökologischere Landbewirtschaftung, als auch ökologisch ausgerichtete gewerbliche und industrielle Produktion sowie die Entwicklung von Umwelttechnologien.

Die Studie ist aktuell vor dem Hintergrund einer Theoriedebatte erschienen, die von den Grenzen des Wachstums handelt, von der Frage, ob green growth, steady state economy oder gar eine planmäßige degrowth-Strategie notwendig sind. Über diese Fragen wird erbittert gestritten. Es wird früher oder später so sein, dass wir radikalere Schritte in Richtung ökologische und soziale Umgestaltung der Wirtschaft gehen müssen. Das kann sehr wohl eine Wachstumsstrategie darstellen und muss nicht zwangsläufig Schrumpfung bedeuten.

Fazit:

Um ein realistischeres, umfassenderes Bild der Wohlfahrtsentwicklung in einem Bundesland (oder Land/Nationalökonomie) zu erlangen, müssen Faktoren in die Betrachtung einbezogen werden, die in der Berechnung des BIP bisher unter den Tisch fallen. Das liefert bessere Entscheidungsgrundlagen für die Politik, wenn es um Investitionen und Prioritäten geht, mit denen über nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Lebensqualität im Land entschieden wird.

Beispiel: Stromplan für Schleswig-Holstein

Die Energiewende kommt – aber nicht von allein. Wir haben als Grüne Landtagsfraktion unsere Vorstellungen zur Energiewende in Schleswig-Holstein in einem "Grünen Stromplan" durchgerechnet. Wir brauchen ein kluges Politikmanagement, um die Energiewende zügig umzusetzen, um nicht nur Akzeptanz, sondern auch Begeisterung für den neuen Weg der Energieerzeugung ohne Atomenergie bei der Bevölkerung und in der Wirtschaft zu wecken.

Der Strommarkt in Schleswig-Holstein ist traditionell in der Erzeugung stark überschüssig. Mit den drei Atomkraftwerken (AKW) in Krümmel, Brokdorf und Brunsbüttel wurde etwa das 2,5-fache der im Land verbrauchten Strommenge erzeugt. Der Exportüberschuss ist durch den Stillstand zweier AKW seit Juni 2007 stark eingebrochen und beträgt heute dank des Anstieges der Erneuerbaren Energien etwa das Doppelte des Verbrauchs. Auch nach dem Ausstieg aus der Atomkraft und ohne Neubau von Kohlekraftwerken ermöglicht ein zügiger weiterer Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energiequellen – allen voran Windenergie auf jetzt 1,5% der Landesfläche – eine Steigerung der Stromerzeugung in Schleswig-Holstein auf das zirka Dreifache des Verbrauchs.

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