Wahrung der Grundrechte muss ein unverhandelbarer Wert der EU bleiben

Es gilt das gesprochene Wort!

 

TOP 42 – Europabericht

 

Dazu sagt der europapolitische Sprecher der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Voß:

 

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich danke der Landesregierung für den ausführlichen Europabericht und der Ministerin Spoorendonk für ihre sehr interessante Rede. Dieser Bericht macht wieder deutlich, wo und wie wir als Schleswig-Holstein in Europa vielfältig eingebunden sind. Er zeigt, dass über 70 Jahre europäische Integration ihre Früchte in einem so nie dagewesenen Frieden in den Ländern der EU und wirtschaftliche und kulturelle Prosperität für sie gebracht haben.

Wenn Schleswig-Holstein seine Interessen an den unterschiedlichsten Stellen als Region wahrnimmt, stehen wir auch zugleich in der Verantwortung für Europa als Ganzes.

Europa hatte in den letzten Jahrzehnten schon viele Krisen durchlebt. Es ging in der Vergangenheit meistens gestärkt und konsolidiert aus ihnen hervor. Wird es angesichts von Schuldenkrise, Brexit, Kalter Krieg 2.0, Syrienkrieg und Flüchtlingskrise auch so bleiben?

Vor zwei Wochen sagte der Präsident des europäischen Rates, Donald Tusk: „Die vergangene Tagung des Europäischen Rates war eine der schwersten meiner Amtszeit.“ Es ging um die Themen Brexit, das mögliche Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU, und die aktuelle Migrations- und Flüchtlingskrise.

Diese Krise ist ernster und tiefgreifender. Europa braucht den Willen, Mut, Zeit, Kraft und Verhandlungsbereitschaft, um sie zu meistern - und nicht Zoff, Kleingeisterei und dumpfes Geschwätz von einem Unrechtsstaat.

Die gestrigen Berichte vom erneuten und vertagten Europäischen Rat aus Brüssel zeigen, in welche Richtung die Flüchtlingspolitik der EU gehen könnte: beispielsweise Geld im Tausch gegen eine Rücknahme von Flüchtlingen. Ja, Europa braucht die Türkei für die Lösung der Flüchtlingskrise und auch auf dem Weg hin zu Lösungen der Konflikte im Nahen Osten.

Ja, es muss, wie auch mit anderen europäischen Nachbarn, eine Perspektive in engerer Zusammenarbeit geben, die langfristig auch in einer Mitgliedschaft enden kann.

Aber auch nein: Die Wahrung von Grundrechten muss ein nicht verhandelbarer Wert der EU bleiben.

Deshalb sind die unterbrochenen Verhandlungen nicht als kleiner Teilerfolg zu werten. Diese Verhandlungen brauchen auch die Beteiligung des Europäischen Parlamentes. Nur das Einhalten der europäischen Regeln von Beteiligung und Mitentscheidung sichert die längerfristige Tragfähigkeit der Beschlüsse.

Dennoch: Das Offenhalten der EU für Immigration ist Vorrausetzung, um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern und zu einer europäischen Lösung in der Flüchtlingsfrage zu kommen.

Bei aller Leistung, die Deutschland durch den stringenten Kurs der Bundeskanzlerin Merkel in 2015 vollbracht hat: Mit dem Offenhalten der Grenzen für eine Million Flüchtlinge, die zu uns kamen, begann auch für uns ein neues Kapitel der europäischen Entwicklung. Noch zu Beginn des Syrienkrieges 2011 tat Bundesinnenminister Friedrich kund, dass die Flüchtlinge von Lampedusa kein europäisches, sondern ein italienisches Problem seien. Es gibt kein Europa à la carte. Nicht für das Vereinigte Königreich, nicht für Dänemark, Italien oder für Deutschland.

Die Probleme, vor denen wir stehen, sind keine nationalen, sondern europäische! Das gilt auch für die Frage, wie die Situation in Griechenland und den Ländern des Balkans und der dort festsitzenden Flüchtlinge zu verbessern ist. Darum brauchen wir auch eine gemeinsame europäische Grenzagentur zur Sicherung der gemeinsamen europäischen Außengrenzen. Dazu gehören aber auch gemeinsam finanzierte und organisierte Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge auf europäischem Boden.

Und dazu gehört auch eine grundlegende Reform des Dublin-Systems. Das jetzige System ist höchst unsolidarisch, hat ein unhaltbares Ungleichgewicht zwischen den Mitgliedsstaaten geschaffen und zu großem Leid bei den Flüchtlingen geführt. Das vorgelegte Grenzschutzpaket muss wesentlich geändert und nachgebessert werden. Die europäische Antwort, wie gemeinsame Grenzen geschützt und Menschenrechte gesichert werden können, fehlt.

Das alles nicht weit weg von Schleswig-Holstein: Schengen hat es ermöglicht, dass offene Grenzen in Europa für uns eine Selbstverständlichkeit sind. Gemeinsam mit Dänemark ist so ein gemeinsamer Wirtschafts- und Kulturraum gewachsen. Regionen stärken sich gegenseitig - Das darf nicht durch neue Grenzkontrollen in Europa gefährdet werden. Unsere im Bericht beschriebene vielfältige und enge Zusammenarbeit mit Dänemark und den skandinavischen sowie osteuropäischen Partnern beruht auf offenen Grenzen.

Gut 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und gut zehn Jahre nach dem Beitritt Polens zur EU, wächst auch im deutsch-polnischen Grenzraum ein gemeinsamer Wirtschaftsraum heran. Das ist auch ein Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen grade auch Schleswig-Holsteins in der Ostseepolitik. Der Dialog und die Zusammenarbeit in den Netzwerken der Parlamente, Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat viele gemeinsame Projekte in Wirtschaft, Umwelt, Kultur und Wissenschaft geschaffen. Beteiligt ist auch über die Regionen der EU hinaus die russische Föderation und Kaliningrad. So ist Russland auch an INTERREG-Projekten beteiligt.

Kontakte und Gespräche bleiben auch in Zeiten schwieriger Konflikte die Basis - auch wenn diese im Moment medial aktuell kaum präsent sind. Das Abkommen von Minsk soll zwar zurzeit Waffenruhe im Konflikt Russlands mit der Ukraine sichern, noch immer trennt die dortige Situation aber Familien voreinander und destabilisiert die gesamte Region. Über eine Millionen der 60 Millionen Flüchtlinge weltweit befinden sich im Westen Russlands und der Ukraine. Das ist die andere große Herausforderung Schleswig- Holsteins in Europa. Es lohnt sich, für eine Lösung zu streiten.

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