Wenn ich vor die schleswig-holsteinische Haustür blicke, sehe ich Europa

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 2 – Regierungserklärung zur Deutsch-Dänischen Zusammenarbeit

Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen,

Eka von Kalben:

Wenn ich vor die schleswig-holsteinische Haustür blicke, sehe ich Europa

Meine Damen und Herren,

ich stehe hier als Bürgerin des Hamburger Randes. Ich kann Ihnen sagen, bevor ich in die Landespolitik gegangen bin, habe ich mich oft mehr als Hamburgerin als Schleswig-Holsteinerin gefühlt. Dort habe ich gearbeitet, die Zeitung gelesen. Dorthin habe ich mich orientiert. Das hat sich natürlich geändert. Ich habe den Schatz kennengelernt, den wir im Norden des Landes haben: Eine Minderheitenpolitik auf die ich sehr stolz bin.

Wenn wir über die deutsch-dänische Zusammenarbeit reden, dann reden wir über das Zusammenleben in einer europäischen Region. Dann beschreiben und erleben wir ein Stück Europa. Die letzten Jahre waren nicht immer einfach für Europa, für die Europäer und auch nicht für den Euro. Die Krise der europäischen Volkswirtschaften, der drohende Absturz des Euros: Das hat die Menschen zweifeln lassen. Skeptiker haben angefangen, Alternativen zu einem gemeinsamen Europa zu fordern.

Allzu häufig wird Europa auch in der Schule anhand ihrer europäischen Institutionen in Brüssel beschrieben. Europarat, Europaparlament und Europäische Kommission sind ebenso beliebte Wissensfragen bei Quizduellen.

Europa, ja das kann eine Geschichte von Verträgen sein: Rom, Maastricht, Lissabon. All das ist wichtig, aber wie ich finde: Herzlos und ohne Leidenschaft. Ein Blick in die Geschichtsbücher der EU macht es manchmal sogar schwerer, das europäische Geschenk zu fassen.

Lassen Sie uns die Bücher zuschlagen und einen Schritt vor unsere Haustür machen. Für mich setzt sich Europa aus den Geschichten seiner Menschen zusammen. Europa erleben wir hier, ganz unmittelbar, in der Zusammenarbeit mit Dänemark. In den vielfältigen Kontakten zwischen Schleswig-HolsteinerInnen und DänInnen.

Gemeinsam leben wir die europäische Idee. Das sind zum Beispiel die Menschen, die alltäglich den Grenzverkehr nutzen. Pendler, die zu ihrem Arbeitsplatz fahren, die Einkaufsmöglichkeiten nutzen oder freundschaftliche und familiäre Kontakte knüpfen.

Gelebtes Europa: Das ist auch die Europauniversität Flensburg. Gemeinsame Bildung und gemeinsames Lernen sind eine Grundlage dafür, dass die nachwachsenden Generationen in einem gemeinsamen, europäischen Geist aufwachsen. Das erreichen wir nicht nur mit Erasmusstudenten, sondern auch mit grenzüberschreitenden Studiengängen, im Bachelor- und Master.

Unser Norden und Dänemarks Süden machen vor, wie ein hochschulpolitisches Zusammenwachsen funktioniert! Deshalb blicke ich mit Sorge auf die aktuellen Kürzungspläne auf dänischer Seite. Insgesamt geht die Zusammenarbeit weit über die Universitäten hinaus.

Denn auch die kulturelle Zusammenarbeit – ich denke hier zum Beispiel an die gemeinsame Bewerbung von Flensburg und Sønderborg als Kulturhauptstadt – zeigt, wie Grenzen Länder trennen, aber trotzdem die Durchlässigkeit für gemeinsame Werte und Ideen bewahren.

Die Bewerbung zur Kulturhauptstadt, sie mag gescheitert sein, im Jahr 2017 kommt es aber trotzdem zum Kulturfestival: Creating a Countryside Metropolis. Auch die benachbarten Regionen werden sich an dem länderübergreifenden Projekt beteiligen. Mir zeigt das: Die Grenzregion arbeitet nicht nur für schöne Titel zusammen, sondern macht das aus Überzeugung.

Meine Damen und Herren,

eine immer intensiver werdende Zusammenarbeit erleben wir nicht nur im Norden! Die ganze Ostseeküste Schleswig-Holsteins steckt da mit drin! Die Gebiete Lübeck, Ostholstein und Plön kooperieren über die bereits funktionierende Belt-Achse mit Själland.

Als Grüne will ich hier dazu sagen: Die feste Femarnbeltquerung gehört sicher nicht zu den Vorzeigeprojekten unser Kooperation. Das haben wir dieser Tage sogar aus Berlin bestätigt bekommen. Die Verzögerungen des Baus waren absehbar und eine Kostensteigerung bei dem Projekt ist mehr als realistisch. An der erfolgreichen Zusammenarbeit insgesamt, rüttelt das natürlich nicht. Das Interreg-Programm bietet zahlreiche Möglichkeiten zum Austausch und zur Vertiefung, in unserem Norden und an der ganzen Küste. Das werden wir nutzen. Für einen kurzen Zeitraum gab es im Jahr 2011 auf dänischer Seite Grenzkontrollen. Wir alle können uns sicher noch daran erinnern, wie irritierend das gewirkt hat. Das hat sich dann glücklicherweise nicht durchgesetzt.

Das alles sagt mir: Wenn ich vor die schleswig-holsteinische Haustür blicke, sehe ich Europa. Und in diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass im vergangen Jahr Historisches gelang. Es gab grenzübergreifende Streifen von dänischer und deutscher Polizei. Das mag wie eine Belanglosigkeit klingen: Mit Blick auf die Vergangenheit wissen wir, wie wenig Selbstverständlichkeit in diesen Gesten liegt. Hier gilt es, Dankbarkeit zu zeigen. Für Frieden, Vergebung und neues Vertrauen.

Meine Damen und Herren,

gerade wirtschaftliche Potenziale lassen sich noch heben, etwa bei der Energiewirtschaft. Denn es ist ja nicht nur so, dass Schleswig-Holstein das Energiewendeland Nummer eins in der Bundesrepublik ist. Auch Dänemark bietet technologische Weltklasse bei den Erneuerbaren. Mit der Vertiefung der Kooperation kommt deshalb zusammen, was zusammen passt und was zusammen gehört. Beim wohl wichtigsten Projekt dieses Jahrzehnts kommt unserem kleinen Land eine Schlüsselrolle zu. Wir wollen nicht Transitland für Waren und Urlaubern sein, sondern Bindeglied zwischen zwei Metropolregionen in Europa. Wir können voneinander lernen: dänische Kreativität und deutsche Genauigkeit.

Ich kann deshalb auch nicht verstehen, warum Schleswig-Holstein manchmal als Insel abgetan wird. In Wahrheit liegen wir in der Mitte. Das wissen wir und das nutzen wir.

Weniger als zwei Autostunde von Flensburg aus steht man am Tor zur Welt: In Hamburg, eine der strukturstärksten Regionen Europas. Drei Stunden fährt man in die nächste pulsierende Metropolregion: Nach Kopenhagen/Malmö. Dazwischen leben vier Millionen Menschen. Dazwischen liegen wir. Wir sind ein Dreh- und Angelpunkt, ein wichtiger Zulieferer und ein interessanter Standort für Unternehmungen.

Und ja, nicht zuletzt: Auch als Urlaubsregion sind der Süden Dänemarks und die schleswig-holsteinischen Angebote höchst interessant! Von einer gemeinsamen Tourismusstrategie – etwa im Bereich des nachhaltigen Tourismus – kann die ganze Region profitieren.

Meine Damen und Herren,

das Engagement von Anke Spoorendonk zur kulturellen Integration zwischen Dänemark und Deutschland ist vorbildlich und sie setzt europaweite Maßstäbe. Sie füllt den Rahmen der europäischen Gestaltungsspielräume mit Leben. Wenn ich aus der Haustür trete, dann sehe ich: Der Weg zu unseren Nachbarn ist gut ausgebaut!

Die deutsch-dänische Grenzregion ist eine der kulturell und sprachlich vielfältigsten Regionen Europas. Und die Menschen begreifen dies als eine besondere Stärke der Region.

Ich möchte aber auch sagen: Zur deutsch-dänischen Zusammenarbeit gehört für mich, dass sich die dänische Minderheit, die Angehörigen der friesischen Volksgruppe, und auch die hier lebenden Sinti und Roma in dieser Region wohl und heimisch fühlen können.

Das war nicht immer so, das ist nicht selbstverständlich. Nach dem Krieg wurde teilweise ein anderer Grenzverlauf erwünscht. Das ist heute nicht mehr so. Und die politische Vertretung von Friesen und Dänen in Deutschland, liebe Anke, lieber Lars, lieber Flemming und liebe Jette, sie ist nicht mehr wegzudenken!

Die Zusammenarbeit mit Minderheiten hat uns geschult: Wir gehen anders an das Thema Integration von Minderheiten heran, als das woanders leider noch der Fall ist. Nicht im Sinne einer Erwartung der Anpassung der Minderheiten an die Mehrheitsgesellschaft. Sondern indem wir die Minderheitenkompetenzen fördern und diese auch in Entwicklungsstrategien mit einbeziehen. So wird Minderheitenpolitik zum Standortfaktor!

Meine Damen und Herren,

die Zusammenarbeit ist gewachsen, Fehler unserer Vorgängerregierung in der Minderheitenpolitik sind korrigiert.

Und Frau Damerow, die Zusammenarbeit hängt häufig nicht nur von der Fehmarnbeltquerung ab. Ihr Umgang mit der Minderheit in den letzten sechs Jahren war nicht förderlich.

Meine Damen und Herren,

Diese Landesregierung setzt in der Zusammenarbeit mit Dänemark klare Schwerpunkte auch

- bei der kulturellen Zusammenarbeit und der Förderung des kulturellen Miteinanders,

- bei Forschung und Hochschuldbildung

- bei der grenzüberschreitenden Mobilität im Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung

Wir zeigen damit: Investition in die Köpfe und Herzen der Menschen sind mindestens ebenso wichtig, (- ich als Grüne sage ausdrücklich: wichtiger! –) als Investitionen in Beton! Ich begrüße es sehr, dass unsere Landesregierung besonders diese Themenfelder auch in die Kontakte mit der dänischen Regierung immer wieder eingebracht hat und weiter einbringen wird. In diesem Sinne: herzlichen Dank  und weiter viel Erfolg bei den Gesprächen

Meine Damen und Herren,

in den letzten Jahren, ja Wochen, gab es zahlreiche Herausforderungen, an denen sich Europa bewähren und aufrichten konnte. Das mögen die Institutionen in Brüssel sein. Fern und vielleicht auch fremd. Das mag der Krieg in der Ukraine sein oder Terror in Paris. Unvorstellbar und doch real. Aber Europa, das sind auch die Menschen, die jeden Tag selbstverständlich zwischen Flensburg und Sonderborg pendeln, zum Arbeiten oder zum Shoppen.

Das sind die Ärzte, Rettungswagen und Hubschrauber, die ganz selbstverständlich den Menschen auf der je anderen Seite helfen. Europa: Das ist die Idee: Wenn alle gleich frei sind, ist das niemandes Nachteil. Genau diese Idee bestimmt unsere Haltung in der Zusammenarbeit mit den Dänen hinter der Grenze. Und auch mit den Deutschen, die dänisch sind, vor der Grenze.

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